10. Leitartikel vom 14.01.02: "Warum regt sich keiner auf?"

10. Leserbrief an den Tagesspiegel vom 15.1.2002 (nicht veröffentlicht)

Thema: Leitartikel vom 14.01.02: „Warum regt sich keiner auf?“

Viele Berliner scheinen wohl nur noch fassungs- und sprachlos die politische Entwicklung in Berlin zu betrachten. Die Berliner SPD ist daran alles andere als unschuldig. Erst täuschte sie Interesse für eine Ampelkoalition vor, um diese dann mit teils völlig unsinnigen Vorschlägen zu torpedieren, welche übrigens bei der offensichtlich schon insgeheim lange favorisierten rot-roten Koalition keine Rolle mehr spielten. So wird Machtpolitik auf Kosten Berlins gemacht. Zusätzlich wird einem wahrlich eloquenten Schwätzer mit zweifelhafter Stasi-Vergangenheit und fehlender wirtschaftlicher Kompetenz das Wirtschaftsressort überlassen und einem PDS-Politiker, der auch noch die unansehnlichsten baulichen Errungenschaften der DDR verteidigte, das Kultur- und Wissenschaftsressort angedient. Dann tat sich die SPD bei der Besetzung eigener Senatsressorts schwer, was bei der Wahl zum Senat noch einmal ein-drucksvoll bewiesen wurde. Noch in letzter Minute wurde ein Mann für das wichtige Finanzressort gefunden. Politikerinnen, die dem Machtkartell Wowereit/ Strieder hätten gefährlich werden können, gingen natürlich leer aus. Da kann’s der Berlinerin und dem Berliner nur noch die Spucke verschlagen. Mag sein, dass die finanzielle Misere Berlins nur noch Apathie in der Stadt erzeugt, zumal sich jetzt 2 Parteinen zusammen getan haben, die mit zu dieser Misere beigetragen haben, die SPD ihren Teil in der Großen Koalition und die PDS einen wesentlich größeren als Erbin der SED, deren Politik des real-existierenden Sozialismus schließlich erst diese ökonomische und finanzielle Katastrophe hinterlassen hatte: Wegen dieser Regierungskoalition und offensichtlich derzeit fehlender Alternativen halten viele sich offensichtlich zurück und denken wohl nur noch:„ Ick gloob, ick spinne.“ Es bleibt zu hoffen, dass Berlin bereits im September bei der Bundestagswahl allen Spinnern die rote Karte zeigt.
Aber ob das dann die Partylaune unseres Regierenden verderben wird, ist stark zu bezweifeln. Und das wird leider nicht gut sein.

Beitrag zur Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Gabriele-von-Bülow-Oberschule

2002
Beitrag zur Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Gabriele-von-Bülow-Oberschule

Berlin-Exkursionen

Karl Friedrich Zelter an Goethe

Endlich, ganz ehrlich gesprochen,
wisst Ihr Herren in der Ferne
doch alle nichts von Berlin,
wo, wie aller Orten,
eine lebendige Gegenwart jede Vorstellung
und Gedanken Lügen straft. (1810)

Es muss in der Mitte der achtziger Jahre gewesen sein. Das Jahr weiß ich nicht mehr, aber es war im Sommer und es war sommerlich warm. Eine ganz besondere Fortbildung wartete auf mich, aber nicht nur auf mich. Herr Dr. Vogler, damaliger Fachbereichsleiter für PW und Erdkunde, rief und ein erlesener Kreis des besagten Fachbereiches machte sich auf den Weg gen Osten, genauer gesagt gen Ost-Berlin, der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik.. Wir wollten auf einer Lehrerexkursion auch die mehr oder weniger unbekannte Hälfte unserer Heimatstadt kennen lernen, mit dem Ziel später selbst Schülergruppen durch Ost-Berlin führen zu können. Diese Art der Vorbereitung war für mich eminent wichtig, denn was wusste ich denn bis zu diesem Zeitpunkt über Ost-Berlin? Schemenhafte Kindheitserinnerungen – Weihnachtsmarkt in Ost-Berlin, Sportveranstaltungen im Stadion der Weltjugend, früher Walter-Ulbricht-Stadion und nur wenige private Ausflüge seit dem Berlin Abkommen von 1972. Hatte ich mich eigentlich früher intensiv mit der Geschichte Berlins auseinandergesetzt? Hatte ich Berlin in meinem Denken nicht auf den westlichen Teil der geteilten Stadt reduziert? Was wusste ich eigentlich über das Berliner Stadtschloss? Gendarmenmarkt? Nein, der hieß doch damals Platz der Akademie! Französischer Dom? Neue Wache? Staatsoper? Kronprinzenpalais? Bebelplatz? Wasserturm auf dem Prenzlauer Berg? usw. Viele bisher nie gestellte Fragen sollten mir und vermutlich auch anderen Exkursionsteilnehmern an diesem Sommertag beantwortet werden.

Akribisch hatte Herr Dr. Vogler die Exkursion vorbereitet. Nicht nur, dass er sich eine Route durch Ost-Berlin
für uns zurecht gelegt hatte. Er versorgte uns zusätzlich mit Kärtchen im DIN A8 Format, die katalogmäßig durchnummeriert waren und stichwortartig wesentliche Informationen zu historisch interessanten Plätzen; Straßen, Bauwerken, Denkmälern usw. enthielten. Auf diese Art bestens vorbereitet konnten wir uns während der Stadtwanderung auf die zahlreichen mündlichen Zusatzhinweise konzentrieren.

Mit schnellen Schritten – Herr Dr. Vogler stets voran – eilten wir durch die Stadteile Mitte und Prenzlauer Berg und damit durch die Berliner und deutsche Geschichte, teils damit auch durch die Weltgeschichte
Auch für uns leibliches Wohl war gesorgt. In der Schönhauser Allee mussten wir uns in Gruppen aufteilen, weil das Gaststättenangebot sehr übersichtlich war. Die DDR hatte den Sprung in die Dienstleistungsgesellschaft irgendwie verpasst. Möglicherweise hat Marx darüber erst im 3.Band des Kapitals geschrieben und wer hat den schon gelesen, geschweige denn verstanden. Vielleicht waren aber auch zu viele damit beschäftigt, unsere Truppe beim Gang durch die Geschichte zu begleiten und zu beobachten, sodass genügend Personal dort fehlte, wo es eigentlich gebraucht wurde. Parallelen zur heutigen Zeit fallen mir dabei schon ein.

Nach der leiblichen Stärkung konnten die Kärtchen mit dem Buchstaben Z wie Zentrum weggelegt werden, die mit einem P wie Prenzlauer Berg waren jetzt gefragt. Den Stapel mit S wie Spandauer Vorstadt ( für Nichteingeweihte: ein Teil des Bezirkes Mitte, nördlich des mittelalterlichen Kerns Berlin gelegen) wartete noch auf uns. Ich weiß gar nicht mehr, ob wir das alles noch an einem Tag abgelaufen sind? Wahrscheinlich: Denn wie aufgezogen schritt Dr. Vogler voran. Und das war auch gut so, besonders für mich. Diese Fortbildung war für mich die Initialzündung, mich gründlicher mit der Geschichte Berlins zu beschäftigen und selbst Gruppen durch Ost-Berlin zu führen. Zunächst waren es vornehmlich Schülergruppen, 10.Klassen und PW-Kurse. Die Organisation war alles andere als leicht. Da die DDR das Monopol auf Massenveranstaltungen hatte, durften die Schülergruppen nicht mehr als 8-10 Schüler umfassen. Jeder musste also einen Passierschein, besser gesagt einen Berechtigungsschein für die Ausstellung eines Visums zum Zwecke eines eintägigen Aufenthaltes in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik beantragen. So war das damals. Und was machte man mit den Schülern, die noch nicht 16 Jahre alt waren und keinen eigenen „Passierschein“ beantragen durften? Die kamen als Kinder auf meinen eigenen Passierschein. Manchmal waren das erstaunlich viele. Aber die Mitarbeiter der DDR-Post (Vier-Mächte- Status), die die Anträge entgegennahmen, ließen diesbezüglich keinerlei anerkennende Gefühlsregung erkennen. Mit stoischer Ruhe bearbeiteten sie die Anträge.

Auf das weitere Procedere hatte ich mich inzwischen eingestellt. Grenzübergang war immer der S-Bhf. Friedrichstraße, manchmal wollte der „Bruder“ Grenzbeamter auch wissen, wie so ein westliches Lunchpaket denn aussähe. Und dann welche Enttäuschung, es war doch nur Leberwurst und weder Schusswaffen noch illegal eingeführte Scheine der DDR-Mark. Die letzte Tür am Bahnhof´ Friedrichstraße, die einen dann nach allen Kontrollen in die Ost-Berliner Freiheit und Luft entließ, war übrigens immer eine andere. Man kann andere auch immer solange in die Irre führen, bis man selbst nicht mehr weiß, wo es langgeht.

Stadtwanderungen sind sowieso schon anstrengend, mit Schülern vielleicht noch mehr, aber in Ost-Berlin sollten noch die Abgase der Zwei-Takter ihren unverkennbaren Beitrag leisten, so dass sich oft, jedenfalls bei mir, Kopfschmerzen einstellten. Der Wunsch, das Arbeiter- und Bauern-Paradies wieder zu verlassen, wurde dann nach mehreren Stunden Ausflug in die Welt des Sozialismus so virulent, dass es mich in den spät- nachmittäglichen Stunden immer wieder zum Tränenpalast drängte. Da drängelten stets noch mehr Ausreisende (so hieß man selbst als in Berlin Geborener) und warteten. Ich hatte folglich Zeit zum Resümieren: Was war alles passiert? Was muss ich in den obligatorischen Bericht für das Schulamt schreiben? Etwa, dass Schüler den Zorn von Vopos erregten, weil sie mit Kreide eine Nachricht im Nikolaiviertel auf dem Gehweg hinterlassen hatten ( so was gehört sich doch auch nicht ), oder, dass Schüler meinten, in der DDR könne man doch ganz schnell reich werden, wenn man nur einen „VEB Wasserwaage“ gründete (zuviel Markt- und zuwenig Planwirtschaft unterrichtet). Die Besuche im Centrum-Warenhaus am Alex kamen mir in den Sinn. Dort versuchte ich das „Ostgeld“ aus dem Zwangsumtausch auszugeben. Wie viele Tuschkästen und Malblöcke habe ich wohl in den Jahren gekauft? Manchmal war auch eine kleine Spende für den anti-imperialistischen Kampf noch drin, denn schließlich war ja 68 noch nicht so lange her. Besser war es aber, im Palast-Hotel noch ein Radeberger auf die wieder mal gelungene Exkursion zu trinken.

Über die Jahre war es eine interessante Zeit. Aber im Mai 1989 reichte es mir dann. Ich wollte nicht mehr rüber. Wieder nur Leberwurst, wieder sommerliches Wetter, wieder verharren an Ampeln für die Nomenklatura, die mir mit ihren schwedischen Edellimousinen beweisen musste, dass sie einen noch größeren Volvo hatten. Zum Schluss natürlich wieder Kopfschmerzen (von der Physis her war ich offensichtlich für den real existierenden Sozialismus nicht geeignet) und dann noch stundenlanges Warten am Tränenpalast. Mit mir nicht mehr, das war im Mai 1989 mein Entschluss.

Und dann kam doch alles ganz anders. Keine Berechtigungsscheine mehr, keine Kontrollen, keine Tuschkästen, keine Kopfschmerzen, nur die Leberwurst blieb, aber unentdeckt. Die Mauer war weg und ich lief und lief durch Ost-Berlin; nein das war jetzt nicht mehr Ost-Berlin, das war das alte, wieder gewonnene Zentrum Berlins. Vieles gab es jetzt zu entdecken und ich nahm fortan –wie gehabt- wieder die Schüler mit auf diese Entdeckungstour. Sicherlich nicht unbedingt im Sinne der Schüler, aber ganz bestimmt in deren Interesse,. auch wenn einige das vielleicht erst später verstehen werden. Aber so ist das nun mal in unserem schönen Beruf.

Denn gibt es eine spannendere Stadt als Berlin? Gibt es noch eine andere Stadt, über die man schon immer sagte kann, dass sie nie ist, sondern immer nur wird. Vieles hat sich hier schon verändert und vieles wird sich noch verändern, auch wenn das zu viele in Berlin immer noch nicht begriffen haben. Es scheint mir, als ob aber viele der Menschen, die ich seitdem beruflich oder privat durch Berlin geführt habe, das Positive dieser Veränderungen eher sehen als die Alteingessenen und ehemals Eingemauerten. Zu den Schülerinnen und Schülern unserer Schule sind unsere ausländischen Gäste bei den Stadtexkursionen dazu gekommen, Gäste aus Schweden und aus Polen vornehmlich. Privat waren es inzwischen nicht nur Menschen aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich, England, Italien, Brasilien, Australien und aus den USA.

Die Kärtchen von damals habe ich noch. Zu ihnen haben sich über die Jahre viele Bücher über Berlin gesellt, denn alles im Leben benötigt ein ausreichendes Fundament. Zum Glück hört das Lernen, auch das Lernen über die eigene Stadt nie auf. Hin und wieder begleiten mich einige Kolleginnen und Kollegen bei den schulischen Exkursionen. Einem bin ich aber bei meinen vielen Exkursionen nie mehr begegnet: Herrn Dr. Vogler. Ver-mutlich eilt er – wenn seine Schulleitertätigkeit ihm das zulässt – auch heute noch durch das neue und alte Berlin und ganz bestimmt könnte ich immer noch einiges von ihm dabei lernen so wie damals in den 80er Jahren. Bis heute denke ich dankbar und schmunzelnd an diesen Tag zurück, einen der unzähligen im Leben der Bülow-Schule, einen für mich aber sehr wichtigen.

9. Aufregung der PDS über die Entscheidung der SPD für eine Ampelkoalition

9. Leserbrief an den Tagesspiegel vom 1.11.2001 ( nicht veröffentlicht)

Thema: Aufregung der PDS über die Entscheidung der SPD für eine Ampelkoalition

Wie war das eigentlich vor drei Jahren? Hat die CSU in Bayern bei der letzten Bundestagswahl nicht weit über40% der Stimmen erhalten, waren es nicht vielleicht auch knapp 48%? Und ist sie an der Bundesregierung beteiligt? Nein, natürlich nicht! Sicher, das ist ja etwas ganz anderes. Bayern geht es wirtschaftlich gut.
Außerdem was soll die CSU schon zur inneren Einheit beitragen. Hätte man allerdings die bayerische Arbeitslosenquote in Berlin, dann wäre vermutlich schon sehr viel für die innere Einheit Berlins geschehen. Und die wollte ja nun die PDS mit ihrer Anwesenheit im Senat fördern. Mit Gysi zwar, aber mit welchen Konzepten denn? Soziale Gerechtigkeit ist ein schönes Ziel, aber sie wird umso eher erreicht, je mehr die Wirtschaft floriert, z.B. so wie in Bayern oder überall dort, wo die PDS noch nicht einmal in ihren Träumen mitregieren kann. Deshalb ist es auch gut so, dass die PDS weiterhin nur von einer Beteiligung am Berliner Senat träumt; das übrigens auch in ihrem eigenen Interesse, in der Opposition kann sie nämlich viel besser ihre Fahne der sozialen Gerechtigkeit hochhalten. Wie arg ramponiert wäre diese wohl, wenn sie jetzt im Senat Verantwortung übernehmen müsste..

8. Das letzte ZDF-Politbarometer

8. Leserbrief an den Tagesspiegel vom 29.08.2001 (nicht veröffentlicht)

Thema: Das letzte ZDF-Politbarometer

Anmerkungen zu den schlechten Umfragewerten des Bundeskanzlers:

Wer basta sagt und doch nur Pasta meint, darf sich über schlechte Umfrageergebnisse nicht wundern.

Abiturrede 2001 – Gabriele-von-Bülow-Oberschule – Michael Bannert

2001 Abiturrede 2001 (Gabriele-von-Bülow-Schule)

Sie staunen vielleicht, dass ich jetzt hier vor Ihnen stehe. Ich übrigens auch. Es ist gerade mal knapp ein Jahr her und ich stand hier an derselben Stelle und hielt dem Jahrgang 2000 die Abiturrede. Eigentlich wollte ich mich in diesem Jahr genüsslich zurücklehnen und irgendwo hier im diesem Raum sitzen und einfach nur zuhören. Der Andrang aus der Lehrerschaft aber auf die diesjährige Rede hielt sich sehr in Grenzen. Dabei gibt es ohne weiteres Kollegen und Kolleginnen , die auch geeignet wären, hier zu sprechen , aber von denen wollte es niemand oder konnte es nicht. Meines Erachtens wäre aber eine Abiturfeier ohne eine Rede aus dem Kollegium so als ob man mit einem leeren Weinglas vor einer leeren Flasche Wein säße. Deshalb habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, das Weinglas selbst wieder mit Wein zu füllen.
Nun hätte ich es mir ganz einfach machen können, indem ich die Rede vom letzten Jahr noch einmal halte. Das wollte nun wiederum ich nicht. Dabei würde das Thema des letzten Jahres – ich sprach über die Wichtigkeit des Umdenkens im Leben- immer noch in die Zeit passen. Umdenken ist ja richtig in Mode gekommen, besonders in dieser Stadt, jedenfalls verbal. Selbst bei denjenigen, die sich kaum noch daran erinnern, was sie vor Monaten, geschweige denn vor Jahren dachten und sagten.

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass ihre Schulzeit – soweit sie die ganze Schulzeit in Berlin verbrachten- immer derselbe Reg. Bürgermeister begleitete, doch kurz vor deren Ende ist er ganz plötzlich – als Reg. Bürg.- abhanden gekommen. Ein neuer Reg,. Bürgermeister für Berlin, deshalb auch eine neue Rede für Sie und das ist hoffentlich auch gut so. Ganz zeitgemäß machte ich mich auf der Suche nach einem roten Faden für diese Rede. Um ihnen passende, angemessene Worte mit auf den Weg zu geben, stellte ich mir die Frage.
Was für ein Jahrgang waren sie eigentlich?
Wie jeder Jahrgang beim Wein ein besonderer ist,. so sind Sie natürlich auch ein besonderer Jahrgang gewesen. ( Der Vergleich zum Bier war mir doch zu profan, obwohl ja einige von Ihnen diese Flüssigkeit zu bevorzugen scheinen.)
Nur welche Attribute passen zu Ihrem Jahrgang?
Einen Wein kann man kosten, riechen, auf der Zunge zergehen lassen, schmecken; wonach beurteilt man aber einen Abiturjahrgang? Nach dem Zensurendurchschnitt? Oder mehr nach dem freiwilligen Engagement, nach dem Sozialverhalten, nach der Pünktlichkeit bei der Erledigung von Selbstverständlichkeiten, von Formalitäten. (ich denke u.a.an die ordnungsgemäße Rückgabe von Büchern.)
Waren sie vom Unterrichten her ein leichter oder schwerer Jahrgang,
vom Intellekt her ein eher spritziger oder doch mehr oberflächlicher Jahrgang,
vom Charakter her ein solider oder doch nur ein flüchtiger Jahrgang
ein kostbarer, ganz außergewöhnlicher oder doch nur ein durchschnittlicher Jahrgang?

Fragen über Fragen! Wie will ich die alleine beantworten. Es gibt viele unter ihnen, die ich nie im Unterricht kennen gelernt habe. Nur Anja und Anne kenne ich schon sehr lange. In meinem PW-Kurs hatte ich 17 nette, fröhliche junge Damen, von denen einige ihr geistiges Aroma erst in der mündlichen Prüfung entfalteten. Irgendjemand muss vorher den Korken entfernt haben. In meinem Mathematikkurs waren auch einige Herren der Schöpfung, soweit sie denn anwesend waren.Allerdings: Für die Lösung des einen oder anderen mathematischen Problems war deren Anwesenheit zwar ganz hilfreich, aber weder unbedingt notwendig noch hinreichend.
Unterstützung für diese Rede erhielt ich von 4 Kolleginnen und Kollegen, auch diese haben über Sie ein wenig nachgedacht. Denn wie es bei den Weinen im einzelnen Jahrgang große Unterschiede hinsichtlich der Qualität und Reife gibt so natürlich auch bei Ihnen. All diese Unterschiede konnte ich alleine nicht erkennen.
Deshalb jetzt hier an dieser Stelle die Gedanken anderer .
Frau Weber erinnert sich an das letzjährige Theaterstück“ Bernarda Albas Haus“.
Sie schreibt: „ Ein Erfolg dieses Stückes war nur möglich, weil alle konzentriert und diszipliniert mitgearbeitet hatten. Für die Darstellerinnen war es eine wichtige Erfahrung, einerseits von der Arbeit her als andererseits auch für ihre Persönlichkeitsentwicklung. Jede konnte die Erkenntnis mitnehmen, dass Teamarbeit das Wichtigste für das Gelingen eines Projektes ist. Auch im späteren Lebensweg kann Teamarbeit dazu beitragen, ohne Ängste an neue Aufgaben heranzugehen.“

Text von Herrn Heister
Es gibt Tage, an denen will man einfach nicht
Man will nicht aufstehen
Man will seine Mitschüler und Lehrer nicht sehen
Man will keine Vokabeln lernen
Man will keine Arbeiten schreiben
Man will nicht auf Schweizer Berge klettern…
Eines haben Sie jedoch mehr oder weniger gewollt: das Abitur!
Jetzt „ hamses“!

Text von Frau Schliephacke in ein Kurzform Wir sollten uns gemeinsam und einzeln wie in der Ballade „Die Schatzgräber“ von Gottfried August Bürger als Schatzgräber im Weinberg der Erkenntnis und der Lebenshaltungen begreifen.

Text von Herrn Hoffmann

1.Gruppe: Zuverlässige, liebenswerte, freundliche, hilfsbereite, mitdenkende und mitfühlende junge Menschen, mit denen jedes Zusammensein Freude bereitet.
2.Gruppe: Schlampige, rücksichtslose Egozentriker mit Ellbogenmentalität, die nicht oder zu selten über die Außenwirkung ihres Handeln nachdenken.

Übrigens : Diese beiden Gruppen konnten auch in Ihrem gegensätzlichen Wirken am letzten Montag beobachtet werden.
Zum Glück setzten sich beim Abistreich zunächst die Vernünftigen durch, diejenigen, denen man auch früher gerne das Zeugnis der Reife gegeben hätte. Übrigens unter uns gesagt, der große Renner ist der Abistreich im Kollegium nicht mehr, schon gar nicht, wenn einige von ihnen meinen, zum Abistreich gehöre auch ein ordentliches Quantum an Alkohol.
Sollte er, der Abistreich, einmal eingespart werden, so würde das Kollegium diese Sparmaßnahme aus tiefstem Herzen mittragen. Damit will ich nichts gegen ihre Spiele gesagt haben, ganz im Gegenteil, die waren lieb und nett, so wie die Schülerinnen, die sie sich ausgedacht hatten und durchführten.

Noch eine kritische Bemerkung:
Das Zeugnis der Reife hat eigentlich auch nicht verdient wer am letzten Montag die Feuerwehr hat kommen lassen, obwohl kein Notfall vorlag. Der das gemacht hat, dem wünsche ich, sollte er im Leben einmal die Hilfe der Feuerwehr benötigen, dass dann nicht irgendein anderer Dödel die Feuerwehr mit einem dummen Anruf blockiert. Den Schulhof im Stile von Michael Schumacher mit dem Auto zu verlassen, ist alles andere als eine reife Leistung. Umso mehr haben mich diejenigen erfreut, die beim Aufräumen tatkräftig mit anpackten. Solche Gesten sind wichtig: nicht den eigenen Dreck von anderen wegmachen lassen, sondern selbst mit anpacken. Das gilt übrigens im übertragenen Sinne auch für die gesamte Stadt

Die Sache mit der Selbstbedienungsmentalität fängt nämlich im Kleinen an. Wo sie im Großen endet, dafür gibt es ja genügend aktuelle Beispiele in dieser Stadt. Heinrich Heine hat solches Verhalten schon im 19.Jh. auf den Punkt gebracht. „ Sie predigten öffentlich Wasser und tranken heimlich Wein.“

Ich stelle mir auch die Frage: Haben wir Sie genug auf die Welt außerhalb der Schule vorbereitet oder vielleicht sogar ganz falsch.
Haben wir Ihnen genügend mitgegeben, an Wissen, an Bildung, auch an sozialen Fähigkeiten? Einzelnen sicherlich!
Zu den sozialen Fähigkeiten sagte ich ja gerade etwas. Nun zum Wissensstand!
Diesen versucht man ja heute- ganz kommerziell- in Fernsehshows zu testen.
Könnten sie z.B. im Sinne der heutigen Zeit die folgenden Fragen beantworten?

100 DM-Frage: Wie heißt der Spitzenkandidat der PDS bei den bevorstehenden
Wahlen? ( Wer so bekannt ist, eignet sich nun einmal nur für 100DM)
Frage aus dem Fachbereich PW
200 Woraus besteht ein Streichquartett? Fachbereich Musik
300 Kennen sie den Kometen der alle 76 Jahre die Erde passiert? FB Physik
500 Die bekannteste Sehenswürdigkeit von Capri? FB Erdkunde
1000 Den kleinsten Abschnitt der Bibel FB Religion
2000 Wie heiß die europäische Trägerrakete? FB Physik
4000 Wo entsteht die Gallenflüssigkeit? FB Biologie
8000 Wer gewann neunmal das Damen-Einzel in Wimbledon? FB Sport
16000 Wie heißt in der Baukunst ein achteckiger Grundriß? FB Mathematik
32000 Wer schrieb den Text der DDR-Hymne? FB Deutsch
64000 Was bedeutet Tiramisu? FB Frmdsprachen
125000 Wer nannte sein Modegeschäft rive gauche boutique? FB Französisch
250000 Von wem stammte der hit�?love is all around?�? FB Musik
500000 Das leichteste aller Metalle? FB Chemie
1000000 In welchem Stück Schillers findet man diesen Ausspruch, der zum Abitur passt,
“ Heisa, juchheia! Dudeldumdei“ FB Deutsch

Es wäre doch zu einfach, wenn man nur genügend Dinge auswendig lernen müsste und schon wäre man Millionär. Aber so einfach ist es nun eben nicht im Leben, schon fürs Abitur reichte stumpfsinniges Auswendiglernen nicht aus. Ein profundes Wissen ist bestimmt eine gute Grundlage. Sie müssen zusätzlich auch bereit sein, in Zusammenhängen zu denken, Verantwortung zu übernehmen, bereit sein, sich mit ihren Überlegungen in Gruppen einzubringen, andere dabei zu akzeptieren und zu respektieren.
Für ihre Zukunft wünsche ich Ihnen einen Beruf, der ihnen trotz aller Mühsal und Anstrengungen Freude bereitet, ein Einkommen, mit dem Sie sich die eine oder andere Annehmlichkeit im Leben finanzieren können. Ich wünsche Ihnen allerdings weiterhin ganz oft die Erfahrung, dass Wissen und Bildung sehr wohl das Leben bereichern.
Es liegt nun zu einem erheblichen Maße in ihrer Hand, etwas aus dem zu machen, was in Sie investiert wurde, von ihren Eltern, auch von Ihnen selbst und von der Gesellschaft. Denken sie dabei nicht, dass ihre Schulzeit kostenlos war, sie hat den Steuerzahler viel Geld gekostet.
Machen Sie sich auf den Weg und denken sie daran, dass Sie jeden Tag etwas Neues lernen können, seien sie deshalb neugierig, sie werden sehr schnell sehr alt aussehen, wenn sie denken, sie könnten irgendwann einmal geistig stehen bleiben. Ein paar Tugenden wie Zielstrebigkeit, Ordnung und Fleiß sollten ihre Wegbegleiter sein. Sollten sie einmal im Leben ausrutschen, dann handeln sie nicht so, wie es Kurt Tucholsky den Deutschen einst nachsagte.
„Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich nach dem um, wer ihm schadensersatzpflichtig ist.“ Versuchen Sie deshalb zunächst, sich mit ihren eigenen Mitteln, mit Mut und Fantasie wieder aufzurichten. Nutzen sie die vielen Möglichkeiten, die das Leben dazu bietet, das sind mehr als sie vielleicht glauben mögen und wir Ihnen aufzeigen konnten.
Auf all ihren Wegen wünsche ich Ihnen auch die richtigen Freunde, die ihnen helfen, wenn die eigenen Kräfte doch nicht mehr reichen. Und eine gehörige Portion Glück wünsche ich Ihnen auch, denn ohne Glück geht es dann manchmal auch nicht im Leben.
Wenn Sie dann die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Anstrengung und Vergnügen gefunden haben, können Sie sich getrost ein Gläschen Wein gönnen, dessen Jahrgang und dessen Attribute dürfen Sie dann natürlich selbst bestimmen.