Abiturrede 15.06.2006 – Gabriele-von-Bülow-Oberschule – Michael Bannert

Lehrerrede anlässlich der Abiturfeiern in der Gabriele-von-Bülow-Oberschule am 15.06.2006 von Michael Bannert im Ernst-Reuter-Saal des Bezirksamts Reinickendorf

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Liebe Abiturientinnen, Liebe Abiturienten, Liebe GästeSie haben lange auf diesen Tag gewartet, ich habe lange auf diesen Moment gewartet. Ich hatte also dank Ihrer Bitte viel Zeit, mich auf diese Rede vorzubereiten Zunächst war ich auf der Suche nach einem roten Faden und anfangs kam mir die Idee eine Rede in meiner Funktion als Mathematiklehrer zu halten, z.B. so über notwendige und hinreichende Bedingungen des Lebens zu philosophieren, sich zu vertiefen in die Problematik von Hoch-, Tief und Wendepunkten des Lebens. Was mag in diesem Zusammenhang wohl ein Sattelpunkt sein? Hoffentlich haben Sie im Moment einen Sattelpunkt erreicht, der ein nur ganz kurzer Halt ist auf dem Weg zum weiteren Aufstieg. Bekanntermaßen gibt es ja auch Sattelpunkte, von denen man sich zunächst in die andere Richtung bewegen muss. Mathematik wäre ein passendes Thema, aber ich dachte mir, in solch einem schönen Land wie Deutschland, in einem Land der Ideen, da müsste es doch noch eine andere Idee, eine bessere gegeben. Sich Gedanken über berühmte Persönlichkeiten zu machen wie z.B. Dietrich Bonhoeffer, an die man sich in diesem Jahr zu Recht erinnert, wäre bestimmt eine gute Idee gewesen, die ich allerdings genauso verworfen habe. Es sollte letztendlich etwas sein, das ich wirklich selbst verstehe, denn nur wer sich selbst versteht, kann vielleicht von anderen verstanden werden. Kurzum: ich dachte mir, Schuster bleib bei deinen Leisten.

Und als ich das so dachte, da war´s, da war die Idee geboren, der rote Faden war gefunden. Schuster, Leisten, Schuhe, Füße, Beine, Beine, die sich bewegen, um einen Ball zu treffen. Was lag also näher, als sich in diesem Jahr 2006 als Aufhänger für diese Rede mit dem Fußball zu beschäftigen. Überall ist Fußball, warum auch nicht in diesem Saal, benannt nach Ernst-Reuter, der ja bekanntermaßen kein Fußballspieler war, der aber auf andere Art und Weise eine Menge in dieser Stadt bewegte, soviel, dass bei Ihrer Abifeier kein Parteisekretär einer Einheitspartei eine Rede hält und ich deshalb frei ohne vorgegebene Losungen sprechen kann.

Also dachte ich mir, ich könnte meine Rede beginnen- wenn ich sie nicht schon längst begonnen hätte, mit der aktuellen Feststellung . DAS SPIEL IST AUS. .

Das stimmt wiederum nicht so ganz. Das Spiel?! Bei der WM gibt es ja noch viele Spiele und stimmt diese Feststellung für Sie? Waren die 13 /14 Jahre Schule ein Spiel, etwa ein Kinderspiel für Sie? Das Abitur ein Spiel? Diese Frage können Sie besser selbst beantworten. Und war es dann das Spiel? Gibt es nicht im übertragenen Sinne viele Spiele, die wir im Leben bestreiten müssen, eins ist nun vorbei, das nächste beginnt für Sie nach einer mehr oder weniger langen Pause. Ich will den Versuch wagen, das, was sie hinter sich haben, und den vermutlich noch unbekannten zukünftigen Spielplan mit einem Fußballspiel und einer Weltmeisterschaft zu vergleichen. M.E. gibt es Parallelen. Was gibt es alles beim Fußball? Da ist das Stadion, das Spielfeld mit den Toren, die haben wiederum Netze, da sind Regeln, deshalb auch Schiedsrichter, da gibt es Zuschauer, da sind die Trainer und Trainerinnen und die vielen Spieler, Spielerinnen, also auch Sie, wir alle hier.

Einige von Ihnen haben es diesmal besonders spannend gemacht und sind in die Verlängerung gegangen, eine Verlängerung, die ein ganzes Jahr dauerte, oder eine Verlängerung durch mehrere mündliche Prüfungen. Aber jetzt ist dieses Spiel vorbei, es wird nicht noch einmal angepfiffen. Die Schiedsrichter haben ihre roten und gelben Karten eingepackt, die Punkte sind vergeben und die Pfeifen dürfen sich ausruhen, ich meine natürlich die Trillerpfeifen. Einige von denen waren ein bisschen schriller, einige vielleicht zu laut, die anderen zur richtigen Zeit möglicherweise nicht laut genug oder wurden gar nicht benutzt. Mit dem Ergebnis dieses Spiels werden sie leben müssen. Was sie aus dem Ergebnis machen, liegt nun in Ihrer Hand, oder in der Sprache der Fußballer in Ihren Füßen. Die bisherigen Trainer und Trainerinnen haben kaum noch Einfluss auf Ihre weiteren Spiele.

Das Stadion

Was war das Stadion bei Ihnen? Die Schule teilweise, bestimmt aber gehörte das Elternhaus als Rahmen dazu. Für die Weltmeisterschaft wurden die Stadien herausgeputzt , sowie Sie sich heute eine feierliches Äußeres gegeben haben. In Berlin wurde das Olympiastadion für die WM erneuert, mit neuem Glanz versehen, aber trotz aller äußeren Veränderungen ist es doch das alte geblieben, mit seiner Geschichte und den daran hängenden Erinnerungen, leider nicht nur guten. Egal, wo sie in Ihrem Leben hingehen mögen, sie werden andere Stadien betreten, Sie werden sich Ihre eigenen Stadien bauen, Sie werden aber auch immer ein Stück Ihrer höchstpersönlichen Geschichte mitnehmen. Dessen sollten Sie sich gewiss sein, es lässt sich leichter leben , wenn Sie sich von Zeit zu Zeit daran erinnern, denn nur wer weiß, wo er herkommt, kann auch den zukünftigen Lebensweg, die zukünftigen Spiele ein wenig unbeschwerter und hoffentlich auch erfolgreicher gestalten. Zwar meine Worte, der tiefere Sinn dieser Aussage stammt von Sigmund Freud , an den in diesem Jahr zu erinnern wohl nicht verfehlt sein kann.

Das Spielfeld und der Rasen

Ganz wichtig, kein Spiel ohne den richtigen Untergrund, beim Fußball natürlich ein grüner Rasen, ein gut gepflegter, am besten einer ohne Stolperstellen. Weder beim Fußball noch im wirklichen Leben geht es aber immer nur glatt zu. Sollten allerdings Spieler den Rasen zu sehr malträtieren, dann kann man zwar den Rasen auf dem Fußballplatz recht schnell wieder erneuern, im sonstigen Leben braucht es seine Zeit, um das wieder zu reparieren, was im Übereifer oder mit Unbedachtsamkeit oder mit Mutwillen zerstört worden ist.

In Deutschland pflegen wir alles, was grün ist, mit besonderer Aufmerksamkeit. Und das ist auch grundsätzlich gut so. Denn auf einem ausgedörrten Acker weiterzuspielen ist nicht für Fußballer eine besondere Herausforderung. Allerdings nur selbstverliebt als vielleicht öffentlich bediensteter Platzwart den Rasen bei uns zu streicheln und dabei die Welt um uns

herum zu vergessen wird für uns nicht das richtige Rezept sein, um im globalen Spiel weiter erfolgreich mitzumachen. In einer Welt der globalen Veränderungen kann man sich nicht auf alten Lorbeeren ausruhen. Die gerade von ihnen erworbenen Lorbeeren werden auch schnell verwelken
Tore

Tore sind dazu da, um Erfolge festzustellen. Sie haben ja gerade wichtige Tore geschossen, wobei Sie mit sehr unterschiedlichem Punktestand das bisherige Spielfeld verlassen. Diejenigen, die nicht so erfolgreich waren oder sogar erfolglos, sollten sich fragen, ob Sie nicht bei der Vorbereitung aufs Abitur auf das falsche Tor gezielt haben oder nicht bedachten, dass das Ablegen des Abiturs so etwas wie die Teilnahme an der Bundesliga des allgemein bildenden Schulsystems ist. Mit einem Training , das nur für die Kreisklasse ausgereicht hätte, kann man eben hochgesteckte Ziele nicht erreichen;das galt bisher und wird auch zukünftig gelten.

Netze

Netze sind nicht nur beim Fußballspiel unabdingbar, jedenfalls bei einer Weltmeisterschaft ist das so, sondern auch im Alltag werden sie gebraucht. Ein Fußball wird von einem Netz aufgefangen, damit einerseits der Erfolg festgestellt werden kann, aber andererseits damit mit dem Ball auch weitergespielt werden kann. Ähnliche Netze, anders geknüpft, brauchen wir auch, private, berufliche und gesellschaftliche Netze.

Für alle gilt Ähnliches. Wenn Netze nicht mehr taugen, dann sollte wie bei Netzen an einem Fußballtor die eine oder Masche neu geknüpft werden. Unter Umständen muss man die Netze völlig austauschen. Dass die sozialen Netze umgebaut werden müssen, das ist m.E. so sicher, wie eine Mannschaft nur mit einem Unentschieden nicht Weltmeister werden kann.

Erst wenn es diesem Staat gelingt, sich neu aufzustellen, d.h. u.a. seine sozialen Netze anders als bisher zu knüpfen, erst dann werden Voraussetzungen geschaffen sein, dass jeder sich mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten in die Gesellschaft einbringen kann. Nur wenn überholte, unzeitgemäße soziale Netze reformiert werden, werden wieder mehr berufliche Netze entstehen und Sie werden nicht auf der Suche nach Ausbildungs- und Arbeitsplätzen vor verriegelten Toren stehen bleiben müssen.

Bei aller Diskussion um Veränderungen sind natürlich nur die authentisch, die selbst zu solchen Veränderungen bereit sind. Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Beiträge derjenigen, die ihre finanziellen Netze jedes Jahr sich selbst üppig füllen bzw. füllen können. Ganz so nach den Worten Heinrich Heines, „ Sie predigten öffentlich Wasser und tranken heimlich Wein“.

Nun zu den privaten Netzen

Ich wünsche Ihnen viele solcher privaten Netze, in die sie sich zurückziehen können, wo sich anlehnen können, die Sie ggf. auffangen, die Ihnen aber auch helfen, sich wieder aufzurichten, damit sie weiterspielen können. Im Leben ist es nun so, dass man von Zeit zu Zeit von dem einen oder anderen Netz Abschied nehmen muss. Gut, wenn dann andere Netze da sind. Ganz schlecht wäre es, wenn man unbeachtet von anderen an der Eckfahne stehen geblieben ist. Wobei in der stillen Ecke sich für einen Moment auf sich selbst zu besinnen, einen möglichen Erfolg zu genießen, kann ja grundsätzlich nicht schaden , nur wenn man dort längere Zeit verharrt, dann geht das Spiel, das Leben auf die Dauer an einem vorbei.

Regeln
Für ein faires Spiel kommt es nicht unbedingt darauf an, auf welcher Seite der einzelne spielt, so ist es auch nicht wichtig , wo man in der Gesellschaft mitspielt, links, rechts, in der Mitte, vorne oder hinten, wichtig ist nur, dass sich alle an die Regeln und Grundwerte unserer Gesellschaft halten. Lassen Sie nicht zu, dass wir eines Tages wieder auf einem Spielfeld aufwachen, auf dem nicht mehr nach den Regeln der Fairness gespielt wird und auf dem dann nur wieder nach einer Pfeife getanzt werden muss. Lassen wir also diese Pfeifen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, dort, wo sie hingehören.

Das mag alles hier im Ernst- Reuter-Saal leicht ausgesprochen sein. Bei Fußballspielen gelingt es sogar, in Unterzahl mit 10 Spielern noch ein Spiel zu gewinnen, die Auseinan-dersetzung mit menschenverachtenden und freiheitsfeindlichen Ideologien werden wir aber nur gewinnen, wenn wir wachsam und in der Mehrzahl bleiben. Dann kann es uns auch gelingen, Springerstiefeln und deren geistlosen Gesellen die rote Karte zu zeigen.

Für das Mitspielen in unserer Gesellschaft gehört aber auch die Forderung an diejenigen, die von außerhalb auf unser Spielfeld kommen, unsere Grundwerte, unsere Regeln ohne Wenn und Aber anzuerkennen, und das bedeutet, das Recht jedes einzelnen/ jeder einzelnen auf Selbstbestimmung vorbehaltlos anzuerkennen. Auf unser Spielfeld gehören keine No-go-Areas, keine Ehrenmorde und auch keine Verharmlosungen und Verleugnungen der beiden Diktaturen in der deutschen Geschichte. Es gibt also genügend Gründe, nicht abseits zu stehen, sondern hinzuschauen und ggf. Schiedsrichter zu sein.

Trainerinnen und Trainer

Viele sind mitverantwortlich für Ihren jetzigen Status, die ersten Trainer überhaupt, ihre Eltern, Erzieher, Verwandte, Freunde bis hin zu denen, die Sie in den letzten Jahren in der Bülow-Schule begleiten und betreuen durften. Beim Fußball wird ja nun immer sehr schnell dem Trainer die Schuld gegeben, wenn der Erfolg ausgeblieben ist, aus meiner Erfahrung ist das in der Schule nicht viel anders. Es mag ja sogar an der Kritik das eine oder andere stimmen. Der Einfluss von Trainern ist allerdings beschränkt, wenn man in sich selbst bereits den zukünftigen Weltklassespieler sehen. Zu jeder Genialität muss auch Disziplin und Ausdauer hinzukommen. Ohne Training keine Meisterschaft, wo auch immer. Trotz aller unterschiedlichen Voraussetzungen, die uns mit in die Wiege gelegt wurden, gilt im Leben wie im Fußball der schlichte Grundsatz: Ohne Fleiß keinen Preis. Sie werden noch mehr als bisher für sich selbst Verantwortung übernehmen müssen. Mit Mut zu den eigenen Fähigkeiten können Sie sich ihr Stadion selbst bauen, es muss ja nicht gleich weltmeister-schaftstauglich sein. Aber Fleiß werden Sie benötigen, so wie W. A. Mozart und Karl Friedrich Schinkel sich auch nicht allein auf ihren genialen Fähigkeiten ausruhen konnten.

Zum Thema Trainer will ich noch folgendes anmerken.

Spielerinnen und Spieler

Es gibt natürlich beim Fußball wie im Leben selbst die unterschiedlichsten Spielertypen, alle können zum Erfolg einer Mannschaft beitragen und das haben ja viele von Ihnen in ihrer Schulzeit und in der letzten Zeit vorbildlich bewiesen. Ich denke dabei an die Organisation der verschiedenen Aktivitäten rund ums Abitur, an die aktive Teilnahme an den unter-schiedlichsten schulischen Veranstaltungen. Ich sage das jetzt so allgemein, um nicht irgendjemand bei einer Aufzählung zu vergessen.

Was zeichnet nun erfolgreiche Fußballer aus? Kann man die Erklärung für den Erfolg von Fußballern überhaupt auf andere Lebenssituationen übertragen? Was ist eigentlich Erfolg? Wie wird er erzielt? Eine Antwort kann ich nur andeuten.

Eigene Vorstellungen engagiert umsetzen, also etwas auf die Beine stellen, Bälle ins Rollen bringen; sich bewegen und damit etwas und andere bewegen und bei allem wie beim Fußball die Balance halten, das gehört wohl zum Erfolg dazu. Im Leben geht es darum, die richtige Mischung zu finden, eine Mischung aus Neugierde und Vorsicht, aus Eigensinn und Anpassung, aus Individualismus und Gemeinschaftssinn , aus Flexibilität und Beharrungsvermögen, aus Spontaneität und Bedachtsamkeit, aus Einfordern von Rechten und Erfüllung von Pflichten, aus Humor und Ernst, aus Kreativität und Normalität, von allem ein bisschen zur richtigen Zeit und auf dem richtigen Spielfeld. Zum Glück unterscheiden wir uns bei der individuellen Mixtur. Nur Ballacks, nur Ronaldinhos, nur Weltklassefußballer, das ergäbe wohl noch keine gute Mannschaft. Wenig Erfolg haben allerdings die, die ständig über widrige äußere Bedingungen jammern und dabei das Spielen, das Leben vergessen und so aus dem Gleichgewicht geraten. In diesem Zusammenhang scheint die WM zur richtigen Zeit nach Deutschland gekommen zu sein. Ganz unaufgeregt und leichtgewichtig dominiert Schwarz-Rot-Gold das Straßenbild, was gut ist, denn schließlich stehen diese Farben für Einigkeit und Recht und Freiheit.

Wie im Fußballspiel so gehört auch im Leben ein wenig Glück dazu, und das ist leider nicht immer gleich verteilt. Manchmal erkennt man im Leben das Glück nicht oder bemerkt es zu spät, so wie ein Fußballspieler eine ganz sichere Chance nicht rechtzeitig erfasst.

Deshalb noch die folgenden Zeilen eines Mannes zum Thema Glück, der in dieser Stadt lebte und vermutlich nie ein Fußballspiel gesehen hat, obwohl er die Anfänge des Fußballspiels hätte mitbekommen können.

„ Uns gehört die Stunde,.

und eine Stunde, wenn sie glücklich ist, ist viel

Nicht das Maß der Zeit entscheidet,

wohl aber das Maß des Glücks.“

Ihnen gehören heute diese Stunden und es sind hoffentlich glückliche für Sie. Im Sinne dieser Zeilen wünsche ich Ihnen viele glückliche Stunden auf ihrem Lebensweg, auf Ihren Lebenswanderungen und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie dabei stets gesund und heil an Ihre Ziele gelangen, so wie auch vor über hundert Jahren Theodor Fontane, von dem diese Zeilen stammen, seine Ziele bei seinen Wanderungen erreichte.

Ich danke für die Aufmerksamkeit

Abiturrede 2001 – Gabriele-von-Bülow-Oberschule – Michael Bannert

2001 Abiturrede 2001 (Gabriele-von-Bülow-Schule)

Sie staunen vielleicht, dass ich jetzt hier vor Ihnen stehe. Ich übrigens auch. Es ist gerade mal knapp ein Jahr her und ich stand hier an derselben Stelle und hielt dem Jahrgang 2000 die Abiturrede. Eigentlich wollte ich mich in diesem Jahr genüsslich zurücklehnen und irgendwo hier im diesem Raum sitzen und einfach nur zuhören. Der Andrang aus der Lehrerschaft aber auf die diesjährige Rede hielt sich sehr in Grenzen. Dabei gibt es ohne weiteres Kollegen und Kolleginnen , die auch geeignet wären, hier zu sprechen , aber von denen wollte es niemand oder konnte es nicht. Meines Erachtens wäre aber eine Abiturfeier ohne eine Rede aus dem Kollegium so als ob man mit einem leeren Weinglas vor einer leeren Flasche Wein säße. Deshalb habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, das Weinglas selbst wieder mit Wein zu füllen.
Nun hätte ich es mir ganz einfach machen können, indem ich die Rede vom letzten Jahr noch einmal halte. Das wollte nun wiederum ich nicht. Dabei würde das Thema des letzten Jahres – ich sprach über die Wichtigkeit des Umdenkens im Leben- immer noch in die Zeit passen. Umdenken ist ja richtig in Mode gekommen, besonders in dieser Stadt, jedenfalls verbal. Selbst bei denjenigen, die sich kaum noch daran erinnern, was sie vor Monaten, geschweige denn vor Jahren dachten und sagten.

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass ihre Schulzeit – soweit sie die ganze Schulzeit in Berlin verbrachten- immer derselbe Reg. Bürgermeister begleitete, doch kurz vor deren Ende ist er ganz plötzlich – als Reg. Bürg.- abhanden gekommen. Ein neuer Reg,. Bürgermeister für Berlin, deshalb auch eine neue Rede für Sie und das ist hoffentlich auch gut so. Ganz zeitgemäß machte ich mich auf der Suche nach einem roten Faden für diese Rede. Um ihnen passende, angemessene Worte mit auf den Weg zu geben, stellte ich mir die Frage.
Was für ein Jahrgang waren sie eigentlich?
Wie jeder Jahrgang beim Wein ein besonderer ist,. so sind Sie natürlich auch ein besonderer Jahrgang gewesen. ( Der Vergleich zum Bier war mir doch zu profan, obwohl ja einige von Ihnen diese Flüssigkeit zu bevorzugen scheinen.)
Nur welche Attribute passen zu Ihrem Jahrgang?
Einen Wein kann man kosten, riechen, auf der Zunge zergehen lassen, schmecken; wonach beurteilt man aber einen Abiturjahrgang? Nach dem Zensurendurchschnitt? Oder mehr nach dem freiwilligen Engagement, nach dem Sozialverhalten, nach der Pünktlichkeit bei der Erledigung von Selbstverständlichkeiten, von Formalitäten. (ich denke u.a.an die ordnungsgemäße Rückgabe von Büchern.)
Waren sie vom Unterrichten her ein leichter oder schwerer Jahrgang,
vom Intellekt her ein eher spritziger oder doch mehr oberflächlicher Jahrgang,
vom Charakter her ein solider oder doch nur ein flüchtiger Jahrgang
ein kostbarer, ganz außergewöhnlicher oder doch nur ein durchschnittlicher Jahrgang?

Fragen über Fragen! Wie will ich die alleine beantworten. Es gibt viele unter ihnen, die ich nie im Unterricht kennen gelernt habe. Nur Anja und Anne kenne ich schon sehr lange. In meinem PW-Kurs hatte ich 17 nette, fröhliche junge Damen, von denen einige ihr geistiges Aroma erst in der mündlichen Prüfung entfalteten. Irgendjemand muss vorher den Korken entfernt haben. In meinem Mathematikkurs waren auch einige Herren der Schöpfung, soweit sie denn anwesend waren.Allerdings: Für die Lösung des einen oder anderen mathematischen Problems war deren Anwesenheit zwar ganz hilfreich, aber weder unbedingt notwendig noch hinreichend.
Unterstützung für diese Rede erhielt ich von 4 Kolleginnen und Kollegen, auch diese haben über Sie ein wenig nachgedacht. Denn wie es bei den Weinen im einzelnen Jahrgang große Unterschiede hinsichtlich der Qualität und Reife gibt so natürlich auch bei Ihnen. All diese Unterschiede konnte ich alleine nicht erkennen.
Deshalb jetzt hier an dieser Stelle die Gedanken anderer .
Frau Weber erinnert sich an das letzjährige Theaterstück“ Bernarda Albas Haus“.
Sie schreibt: „ Ein Erfolg dieses Stückes war nur möglich, weil alle konzentriert und diszipliniert mitgearbeitet hatten. Für die Darstellerinnen war es eine wichtige Erfahrung, einerseits von der Arbeit her als andererseits auch für ihre Persönlichkeitsentwicklung. Jede konnte die Erkenntnis mitnehmen, dass Teamarbeit das Wichtigste für das Gelingen eines Projektes ist. Auch im späteren Lebensweg kann Teamarbeit dazu beitragen, ohne Ängste an neue Aufgaben heranzugehen.“

Text von Herrn Heister
Es gibt Tage, an denen will man einfach nicht
Man will nicht aufstehen
Man will seine Mitschüler und Lehrer nicht sehen
Man will keine Vokabeln lernen
Man will keine Arbeiten schreiben
Man will nicht auf Schweizer Berge klettern…
Eines haben Sie jedoch mehr oder weniger gewollt: das Abitur!
Jetzt „ hamses“!

Text von Frau Schliephacke in ein Kurzform Wir sollten uns gemeinsam und einzeln wie in der Ballade „Die Schatzgräber“ von Gottfried August Bürger als Schatzgräber im Weinberg der Erkenntnis und der Lebenshaltungen begreifen.

Text von Herrn Hoffmann

1.Gruppe: Zuverlässige, liebenswerte, freundliche, hilfsbereite, mitdenkende und mitfühlende junge Menschen, mit denen jedes Zusammensein Freude bereitet.
2.Gruppe: Schlampige, rücksichtslose Egozentriker mit Ellbogenmentalität, die nicht oder zu selten über die Außenwirkung ihres Handeln nachdenken.

Übrigens : Diese beiden Gruppen konnten auch in Ihrem gegensätzlichen Wirken am letzten Montag beobachtet werden.
Zum Glück setzten sich beim Abistreich zunächst die Vernünftigen durch, diejenigen, denen man auch früher gerne das Zeugnis der Reife gegeben hätte. Übrigens unter uns gesagt, der große Renner ist der Abistreich im Kollegium nicht mehr, schon gar nicht, wenn einige von ihnen meinen, zum Abistreich gehöre auch ein ordentliches Quantum an Alkohol.
Sollte er, der Abistreich, einmal eingespart werden, so würde das Kollegium diese Sparmaßnahme aus tiefstem Herzen mittragen. Damit will ich nichts gegen ihre Spiele gesagt haben, ganz im Gegenteil, die waren lieb und nett, so wie die Schülerinnen, die sie sich ausgedacht hatten und durchführten.

Noch eine kritische Bemerkung:
Das Zeugnis der Reife hat eigentlich auch nicht verdient wer am letzten Montag die Feuerwehr hat kommen lassen, obwohl kein Notfall vorlag. Der das gemacht hat, dem wünsche ich, sollte er im Leben einmal die Hilfe der Feuerwehr benötigen, dass dann nicht irgendein anderer Dödel die Feuerwehr mit einem dummen Anruf blockiert. Den Schulhof im Stile von Michael Schumacher mit dem Auto zu verlassen, ist alles andere als eine reife Leistung. Umso mehr haben mich diejenigen erfreut, die beim Aufräumen tatkräftig mit anpackten. Solche Gesten sind wichtig: nicht den eigenen Dreck von anderen wegmachen lassen, sondern selbst mit anpacken. Das gilt übrigens im übertragenen Sinne auch für die gesamte Stadt

Die Sache mit der Selbstbedienungsmentalität fängt nämlich im Kleinen an. Wo sie im Großen endet, dafür gibt es ja genügend aktuelle Beispiele in dieser Stadt. Heinrich Heine hat solches Verhalten schon im 19.Jh. auf den Punkt gebracht. „ Sie predigten öffentlich Wasser und tranken heimlich Wein.“

Ich stelle mir auch die Frage: Haben wir Sie genug auf die Welt außerhalb der Schule vorbereitet oder vielleicht sogar ganz falsch.
Haben wir Ihnen genügend mitgegeben, an Wissen, an Bildung, auch an sozialen Fähigkeiten? Einzelnen sicherlich!
Zu den sozialen Fähigkeiten sagte ich ja gerade etwas. Nun zum Wissensstand!
Diesen versucht man ja heute- ganz kommerziell- in Fernsehshows zu testen.
Könnten sie z.B. im Sinne der heutigen Zeit die folgenden Fragen beantworten?

100 DM-Frage: Wie heißt der Spitzenkandidat der PDS bei den bevorstehenden
Wahlen? ( Wer so bekannt ist, eignet sich nun einmal nur für 100DM)
Frage aus dem Fachbereich PW
200 Woraus besteht ein Streichquartett? Fachbereich Musik
300 Kennen sie den Kometen der alle 76 Jahre die Erde passiert? FB Physik
500 Die bekannteste Sehenswürdigkeit von Capri? FB Erdkunde
1000 Den kleinsten Abschnitt der Bibel FB Religion
2000 Wie heiß die europäische Trägerrakete? FB Physik
4000 Wo entsteht die Gallenflüssigkeit? FB Biologie
8000 Wer gewann neunmal das Damen-Einzel in Wimbledon? FB Sport
16000 Wie heißt in der Baukunst ein achteckiger Grundriß? FB Mathematik
32000 Wer schrieb den Text der DDR-Hymne? FB Deutsch
64000 Was bedeutet Tiramisu? FB Frmdsprachen
125000 Wer nannte sein Modegeschäft rive gauche boutique? FB Französisch
250000 Von wem stammte der hit�?love is all around?�? FB Musik
500000 Das leichteste aller Metalle? FB Chemie
1000000 In welchem Stück Schillers findet man diesen Ausspruch, der zum Abitur passt,
“ Heisa, juchheia! Dudeldumdei“ FB Deutsch

Es wäre doch zu einfach, wenn man nur genügend Dinge auswendig lernen müsste und schon wäre man Millionär. Aber so einfach ist es nun eben nicht im Leben, schon fürs Abitur reichte stumpfsinniges Auswendiglernen nicht aus. Ein profundes Wissen ist bestimmt eine gute Grundlage. Sie müssen zusätzlich auch bereit sein, in Zusammenhängen zu denken, Verantwortung zu übernehmen, bereit sein, sich mit ihren Überlegungen in Gruppen einzubringen, andere dabei zu akzeptieren und zu respektieren.
Für ihre Zukunft wünsche ich Ihnen einen Beruf, der ihnen trotz aller Mühsal und Anstrengungen Freude bereitet, ein Einkommen, mit dem Sie sich die eine oder andere Annehmlichkeit im Leben finanzieren können. Ich wünsche Ihnen allerdings weiterhin ganz oft die Erfahrung, dass Wissen und Bildung sehr wohl das Leben bereichern.
Es liegt nun zu einem erheblichen Maße in ihrer Hand, etwas aus dem zu machen, was in Sie investiert wurde, von ihren Eltern, auch von Ihnen selbst und von der Gesellschaft. Denken sie dabei nicht, dass ihre Schulzeit kostenlos war, sie hat den Steuerzahler viel Geld gekostet.
Machen Sie sich auf den Weg und denken sie daran, dass Sie jeden Tag etwas Neues lernen können, seien sie deshalb neugierig, sie werden sehr schnell sehr alt aussehen, wenn sie denken, sie könnten irgendwann einmal geistig stehen bleiben. Ein paar Tugenden wie Zielstrebigkeit, Ordnung und Fleiß sollten ihre Wegbegleiter sein. Sollten sie einmal im Leben ausrutschen, dann handeln sie nicht so, wie es Kurt Tucholsky den Deutschen einst nachsagte.
„Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich nach dem um, wer ihm schadensersatzpflichtig ist.“ Versuchen Sie deshalb zunächst, sich mit ihren eigenen Mitteln, mit Mut und Fantasie wieder aufzurichten. Nutzen sie die vielen Möglichkeiten, die das Leben dazu bietet, das sind mehr als sie vielleicht glauben mögen und wir Ihnen aufzeigen konnten.
Auf all ihren Wegen wünsche ich Ihnen auch die richtigen Freunde, die ihnen helfen, wenn die eigenen Kräfte doch nicht mehr reichen. Und eine gehörige Portion Glück wünsche ich Ihnen auch, denn ohne Glück geht es dann manchmal auch nicht im Leben.
Wenn Sie dann die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Anstrengung und Vergnügen gefunden haben, können Sie sich getrost ein Gläschen Wein gönnen, dessen Jahrgang und dessen Attribute dürfen Sie dann natürlich selbst bestimmen.

Abiturrede 2000 – Gabriele-von-Bülow-Oberschule – Michael Bannert

Abiturrede Michael Bannert 2000

Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten!
Zunächst möchte ich mich selbstverständlich für Ihre Wahl bedanken, ich habe mich darüber gefreut, auch wenn es mit Arbeit verbunden war, diese Rede auszuarbeiten, aber Arbeit kann auch Spaß machen. Ich wünsche Ihnen vorweg schon einmal, dass Sie im Leben auch eine Arbeit haben werden, die Ihnen Spaß macht.
Unabhängig von ihrer Entscheidung fühlte ich mich allerdings sowieso verpflichtet, Ihnen ein paar Gedanken
mit auf den Weg zu geben. Warum? Sie stellen nämlich einen Jahrgang dar, den ich sehr intensiv genießen konnte. Ich durfte eine Klasse die b. Klasse,(damals nicht bilingual, die Zeit ist nicht stehen geblieben), erst als Fachlehrer, dann später als Klassenlehrer begleiten.
Einen Profilkurs konnte ich später auch noch übernehmen , aus diesem wurde dann ein richtiger Leistungskurs. Ein paar Jahre früher hatte ich übrigens auf einer Klassenfahrt nach Hermeskeil eine Parallelklasse kennen gelernt. Zwei Oberstufenkurse hatte ich auch noch in den ersten beiden Semestern auf meine Art und Weise mit den Geheimnissen der höheren M. vertraut machen können. Vielleicht war es doch nicht die höhere Mathematik – es waren ja nur Grundkurse und dann wie gesagt auch noch meine. Diese Kurse waren mir dann aus Arbeitszeitgerechtigkeit ( so etwas gibt es auch heute noch, jedenfalls stellenweise) abhanden gekommen Das hatte immerhin den Vorteil, dass einige von Ihnen nicht mit mir in das verflixte 7.Jahr gehen mussten. Ich lernte also viele ihres Jahrgangs kennen , ich kenne Sie sozusagen fast von A-Z, aber wenigstens von Amro, der nicht mehr hier ist, und Safer, der hier ist, aber nicht mit Z geschrieben wird. Ich hatte also Standortvorteile bei Ihrer Entscheidung .
Fazit für mich: Viel mehr angenehme als unangenehme Erinnerungen, einige nachdenklich stimmende Gespräche und die eine oder andere Anregung durch Sie, innerhalb und außerhalb des Unterrichts.
Eine weitere Vorbemerkung muss ich noch machen: Ich werde mich bemühen auch immer die weibliche Anrede zu benutzen, nicht nur als Verbeugung vor den vielen Abiturientinnen, sondern auch als Ausdruck einer Selbstverständlichkeit im 21.Jahrhundert. Vielleicht gerate ich dennoch manchmal sprachlich ins alte Fahrwasser und vergesse die weibliche Form der Anrede, dann werten sie dies bitte nur als dumme Entgleisung meines resistenten Stammhirns.
Auch Emanzipation bedeutet Umdenken und das kostet natürlich Zeit und erfordert zusätzliche Anstrengung, aber diesen Preis sollten Sie, liebe Abiturienten, im Leben bezahlen , auch wenn Umdenken lästig sein kann. Wem das Gefühl für dieses Umdenken fehlt, dem sei der folgende Ausspruch eines französischen Malers und Schriftstellers spanischer Abstammung namens Francis Picabia mit auf dem Weg gegeben: Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. Das Denken muss aber nun nicht ständig opportunistisch die Richtung ändern, aber manchmal sollten wir schon zum Umdenken bereit sein.
Sie werden nun alle in Kürze ihr Abiturzeugnis erhalten. Ich möchte mich jetzt nicht hier hinstellen und sagen, nun bilden sie sich mal nicht so viel darauf ein. Sie haben doch bestimmt schon vom Vorurteil der älteren Generationen gehört, die heutige Jugend wisse viel zu wenig und wenn sie etwas wisse und könne, dann ist es sowieso das falsche, statt eine richtige Allgemeinbildung wolle sie nur Spaß haben. Gilt sicherlich für einige, aber für alle? Peter Glotz, ehemals Wissenschaftssenator in Berlin sagte kürzlich in einer Fernsehdiskussion, das Dümmste, was die Älteren behaupten könnten, sei die Aussage, die Jugend sei dumm und faul und früher hätte man viel mehr gelernt und logischerweise auch mehr gewusst. Dies hätten zu jeder Zeit die Älteren behauptet.
Bei pauschalen Äußerungen über die Jugend sollten wir, die Älteren, vorsichtig, sehr vorsichtig sein. M.E. steckt oft hinter den abwertenden Aussagen über die fehlende Bildung der Jugend eine gehörige Portion Neid der Älteren auf die Jugend, die jene, die Älteren, nun beim besten Willen, selbst unter Aufbietung ihres gesamten Wissensschatzes nicht mehr zurückholen können.
Das Wissen von Generationen miteinander zu vergleichen ist äußerst schwierig, wahrscheinlich unmöglich. Sie haben viele Dinge lernen müssen und vielleicht auch gelernt, die zu meiner Zeit noch nicht im Rahmenplan standen oder schlichtweg unbekannt waren. In keinem Unterrichtsfach ist die Entwicklung stehen geblieben, jedenfalls was die Inhalte anbelangt.
Was Sie an schulischem Wissen behalten haben , wurde ja nun zum Teil gerade festgestellt. Für diejenigen, die beim angeblich geringen Wissen der Jugend den Untergang des Abendlandes befürchten, Folgendes zum Trost: Niemand von Ihnen, auch die nicht, die mit Ach und Krach die 100 Punkte erreichten, würde auf die Frage, wer denn Shakespeare sei, antworten, dies könnte sich um den Spielmacher der englischen Nationalmannschaft handeln. Wobei bei Lichte betrachtet, so ganz falsch wäre das nun wieder auch nicht. Sie sehen: ein bisschen Halbbildung kann gar nicht schaden, man findet so auf alle Fälle viele Gesprächspartner.
Nun will ich aber weiß Gott nicht mit meinen Bemerkungen alle von ihnen klugreden. Ohne Namen zu nennen gibt es bestimmt einige unter ihnen, denen die Götter oder meinetwegen auch die Strukturen des Kurssystems sehr wohl gesonnen gewesen sind und die auf wunderbare Weise die nötigen Punkte fürs Abitur doch noch zusammen bekommen haben. Diese sollten allerdings nicht die falschen Schlüsse daraus ziehen. Nicht immer wird man mit dem geringsten Aufwand den größten Nutzen erzielen, auch wenn das sehr ökonomisch gedacht sein mag. In diesem Fall kann für die Zukunft Umdenken nicht schaden.
Ihre Generation kann heute mit vielen Dingen wie selbstverständlich umgehen, an die früher meine Generation in ihren kühnsten Träumen nicht gedacht hat. Und wie schwer fällt es vielen meiner Generation sich auf diese moderne Welt der digitalisierten Kommunikationstechnologien einzulassen, einschließlich meiner selbst. Ich könnte hinsichtlich dieser Technologien bestimmt viel von Ihnen lernen. Ich will Ihnen an Beispielen den Wandel der Zeiten verdeutlichen. Hätte z.B. damals meine Mutti- so nannte man damals noch seine Mutter- mich aufgefordert, das Motherboard zu bringen, dann hätte ich ihr sicherlich die Kittelschürze gebracht, auch ein Handy damals unbekannt, geschweige denn ein Headset. Als ich kürzlich beim Kauf eines Handys gefragt wurde, ob ich ein solches haben möchte, wollte ich schon fast sagen, dass ich mich bereits vor 30 Jahren gegen ein Toupet entschieden hätte, ich habe dann aber noch rechtzeitig umgedacht. Obwohl damals nun kurze bzw. unfreiwillig zu kurz geratene Haare alles andere als „in“ waren, im Gegensatz zu heute.
Übrigens Glatzen damals nur ein Wort um recht grob eine zumeist männliche Anomalie zu beschreiben, heute muss dieses Wort leider auch noch dazu dienen, um diejenigen politisch einzuordnen, deren Verstand und Anstand im direkten Verhältnis zur Länge ihrer Haare stehen. Also nicht dass sie mich jetzt falsch verstehen. Hier handelt es sich weder um eine notwendige noch um eine hinreichende Bedingung. Unter kurzen Haaren könnte sich auch ein kluger und anständiger Kopf befinden und lange Haare mit oder ohne Mütze schützen nicht vor Dummheit.
Die Zeit wird auch für Sie nicht stehen bleiben. Auch in Ihrem Leben werden Sie sich auf Neues, Unbekanntes einlassen müssen, machen Sie es trotz der vielen ernsten Seiten des Lebens oft im Sinne des jetzigen Kultursenators, Christopf Stölzl,der gesagt hat, den Fröhlichen gehöre die Welt. Und denken Sie trotz aller notwendigen Pflege des Outfits daran, dass inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass unser Gehirn wie jeder andere Muskel durch Denken und ab und zu auch durch Umdenken trainiert sein will: Das kann vielleicht später mal vor frühzeitiger Vergreisung schützen. Was Vergreisung bedeutet, das sollen sie –Aussagen Betroffener zur Folge- angeblich schon kennen gelernt haben.
Aber zurück zu Ihrem Abitur. Ihr Abitur ist die eine Seite der Medaille, was Sie daraus machen, ist die andere . Und die werden Sie vermutlich noch gar nicht so richtig erkennen können, sie wird vermutlich noch sehr verschwommen aussehen. Wie Sie die Rückseite dieser Medaille gestalten, liegt in einem erheblichen Maße nun in Ihrer Hand.
Ihr Notendurchschnitt und auf den können viele zu Recht sehr stolz sein, wird auf Dauer betrachtet nur eine statistische Größe sein, auch wenn ein besonders guter natürlich heutzutage schneller Türen und Tore öffnet. Was sie aus ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten machen, haben Sie jetzt zu verantworten. Das sind unter Umständen Fähigkeiten, die hier in der Schule aufgrund vieler Unzulänglichkeiten, ausgebliebener Reformen weder erkannt, geschweige denn gefördert wurden, die sie möglicherweise selbst noch nicht bei sich entdeckt haben. Carpe diem! Haben Sie Mut diese Fähigkeiten zu entdecken, seien Sie kreativ zu sich selbst.
Im Leben gibt es am Wegesrand Schilder, teils große, teils kleine (oder auch kleine grüne Männchen), die einem zeigen bzw. zurufen , gewohnte Pfade zu verlassen, nicht immer nur geradeaus zu schauen, sondern auch mal unbekanntes Terrain zu erforschen. Man muss diese Schilder,. diese Rufe nur richtig deuten und vor allem, wie gesagt, den Mut dazu haben. Nun denken Sie bitte nicht, dass ich immer den Mut hatte, allen Rufen des Lebens zu folgen, keineswegs. Aber Ihrem Ruf bin ich wenigstens gefolgt.
Sie haben in der heutigen Zeit aufgrund der rasanten Entwicklung der elektronischen Medien viel mehr als frühere Generationen die Chance vom weltweiten Wissen zu profitieren, Sie könnten sich natürlich auch mit diversen Spielchen und Späßchen ablenken und den Wissensvorsprung anderen überlassen. Sie könnten allerdings auch das eine sinnvoll mit dem anderen verbinden. Die Flut von Informationen ist jetzt schon so groß geworden, dass man auch den Überblick verlieren kann und sich lieber in sein Schneckenhaus verkriecht . Angeblich fangen Menschen an ihr Recht einzufordern, nicht jederzeit und überall informiert zu werden. Bei einigen von ihnen gab es ja diesbezüglich schon hoffnungsvolle Ansätze.
Möglicherweise steckten hinter häufigem Fehlen auch ganz schlaue Motive. Sie haben sich vielleicht zu Hause mit Wichtigerem beschäftigt und haben z.B. Computersprachen gelernt. Sie hätten dann sehr zeitgemäß umgedacht. Denn merkwürdigerweise fehlen gerade solche Spezialisten bei uns. Wer da wohl die Entwicklung verschlafen hat? Ihre Generation bestimmt nicht!
Wie wird es mit Ihnen aber weitergehen ? Studium, Ausbildungsplatz, soziales Jahr, Wehrdienst, Zivildienst. alles vermutlich noch mit vielen Fragezeichen versehen. Werden auf Dauer diejenigen mehr Erfolg haben , die schon immer hier gerufen haben, obwohl sie nicht gefragt waren oder mehr diejenigen, die zu oft ihr Licht unter den Scheffel gestellt haben und am liebsten nie gefragt werden wollten, weil sie sonst doch hätten antworten müssen. Sicherlich sind die auf dem richtigen Wege- und das waren zahlreiche unter Ihnen, die bereits in der Schule Engagement, Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewußtsein in den unterschiedlichsten Bereichen gezeigt haben, bei diversen schulischen Projekten: Musik- Theateraufführungen, Ausstellungen, Schülerzeitungen, Teilnahme an Schulpartnerschaften, Betreuung ausländischer Gäste, Teilnahme an Ags und sportlichen Wettkämpfen , Einsatz in der Cafeteria, Mitglied in schulischen Gremien usw.
Auf dem richtigen Weg sind all diejenigen, die erkannt haben, dass die Kehrseite von Rechten Pflichten sind. Ob die Lehrerschaft insgesamt genügend Vorbild dabei für Sie gewesen ist, können Sie ja selbst am besten beantworten. Ein differenzierte Betrachtungsweise bei dieser Beurteilung lege ich Ihnen allerdings ans Herz, Lehrer sind nicht von Amts wegen schon faule Säcke.
Dinge differenziert zu betrachten gilt natürlich für uns alle. Auch das von mir schon oft erwähnte Umdenken gilt für alle, wobei ich glaube, dass damit die Jugend weniger Schwierigkeiten hätte, wenn nur die Rahmenbedingungen stimmen würden. Widerstände sind gegen dieses Umdenken in Deutschland aufgebaut worden. Sobald nur irgendjemand das Wort Reformen in den Mund nahm, formierte sich die Riege der Aussitzer, Blockierer und Besitzstandswahrer. Zu lange sträubte man sich gegen das notwendige Umdenken, so als ob wir auf einer Insel der Glückseligen lebten und als ob zukünftige Generationen z.B. durch eine unvernünftige Finanzpolitik (Stichwort Staatsverschuldung) beliebig belastbar wären.
Das Schicksal der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist eigentlich ein warnendes Beispiel. Wenn man zu lange an alten Konzepten und Strategien festhält und der Kreativität-auch der Kreativität der Jugend- keine Spielräume gibt, nicht anfängt umzudenken, dann ist man über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt, auf dem Spielfeld wie in der Gesellschaft.
Dieses Umdenken, scheint ja langsam zu beginnen, sollte es in Reformen umgesetzt werden, dann werden allerdings zukünftig von uns, also auch von Ihnen mehr Leistungsbereitschaft, Eigeninitiative und Eigenverantwortung verlangt werden. Das kann von Ihnen als Generation auch verlangt werden, da es noch nie eine junge Generation in Deutschland gab, die über einen derart großen materiellen Wohlstand verfügte. Der allzu fürsorgliche und überbürokratisch regulierende Staat ist ein ungerechtes und nicht mehr finanzierbares Auslaufmodell. Ein Rat: Sie sollten sich rechtzeitig auf diese Veränderungen einstellen. Ein praktischer Vorschlag: Tun Sie rechtzeitig-auch wenn das Alter für Sie noch soweit entfernt liegt, aber Sie werden irgendwann auch zu den Älteren zählen-, rechtzeitig etwas für Ihre private Altersvorsorge.
Warum erzähle ich Ihnen das? Das, was für eine Gesellschaft insgesamt gilt, das gilt auch für Sie persönlich. Fehlende Reform- und Veränderungsbereitschaft haben ihren Preis . In der Gesellschaft werden dadurch die Chancen für zukünftige Generationen vermindert, im Privaten kann das den Verlust von Freundschaft und Partnerschaft bedeuten. Gesellschaftlich werden wir im Zeitalter der Globalisierung eingefahrene Wege verlassen müssen und den Weg in eine moderne Informations- und Dienstleistungsgesellschaft nur finden, wenn wir nicht versuchen mit verkrusteten Strukturen und einem Denken von gestern und vorgestern die Probleme von heute zu meistern, geschweige denn die von morgen und übermorgen. Bei den anstehenden Veränderungen wird nach einer weiteren Aussage unseres jetzigen Bundeskanzlers manchmal Zivilcourage erforderlich sein, nämlich Zivilcourage zum Konsens und nicht zum Konflikt.
Besser als ich es sagen könnte, hat Hermann Hesse, in dem Gedicht „Stufen“ für unseren persönlichen Lebensweg die Problematik folgendermaßen zusammengefasst. (nur eine Strophe)

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise und traulich eingewohnt
so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen

Sie müssen ja jetzt aufbrechen- nicht nur nach Preerow. Für diesen Aufbruch, möchte ich Ihnen ein wenig Mut machen, indem sie Veränderungen nicht zu allererst als Bedrohung empfinden, sondern auch die Chancen, die aus diesen Veränderungen resultieren, erkennen und nutzen. Auf diese Veränderungen müssen Sie aber nicht reagieren, indem Sie sich verbiegen, sondern Sie können diese Veränderungen auch aktiv mit gestalten und dabei im Sinne von Berthold Brecht sich treu bleiben: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.
Vielleicht haben Sie einen Vorteil anderen gegenüber, den Vorteil nämlich in einer Stadt zu leben, in denen sich vieles bereits verändert hat, z.B. am Potsdamer Platz, und noch viel verändern muss und wird. Nehmen Sie Ihr Leben wie die Entwicklung in Berlin. Von Berlin wurde schon früher gesagt: Berlin ist eine Stadt, die nie ist, sondern immer nur wird . Sie werden hoffentlich auch nie nur sein, sondern immer im Werden sein.
Für ihr höchstpersönliches Werden wünsche ich Ihnen nicht nur Erfolg und Glück, sondern von Zeit zu Zeit auch das Gefühl, rechtzeitig zu erkennen, wann es Zeit zum Umdenken ist, wann es Zeit ist, auf das Leben zu reagieren. vielleicht auch manchmal begleitet von Selbstkritik und Selbstironie. Ich wünsche Ihnen auf Ihrem hoffentlich stufen- und erkenntnisreichen Weg Menschen, die Sie aufrichtig, zuverlässig und liebevoll begleiten. Bei ihrem/unserem Handeln sollten Sie bzw. wir es nicht zu gering schätzen in einer zwar reformbedürftigen, aber freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft zu leben. Bei der Verwirklichung ihres persönlichen Glücks sollten Sie nicht nur frohen Mutes zu Werke gehen, sondern auch immer das Glück der anderen mit berücksichtigen.
Leben Sie wohl! Da ich mich auch noch ein wenig im Werden fühle, kann ich wohl auch sagen, bis zu einem Wiedersehen!